Ein Großteil der Studien in der Digitalgeschichte widmen sich den Industriestaaten. Bereits zu den ehemaligen sozialistischen Staaten gibt es deutlich weniger Forschung. Staaten des globalen Südens fallen dabei mit einigen bekannten Ausnahmen unter das Radar. Die Unterrepräsentation solcher Staaten unterstützt das Bild von Afrika oder Lateinamerika als rückständig. In einem Blogbeitrag gibt nun ein ehemaliger Mitarbeiter der britischen ICT Einblicke in den faszinierenden Beginn der Digitalisierung auf dem afrikanischen Kontinent.
Die ersten Computer in Afrika finden sich im nördlichen Teil des Kontinents, genauer in Marokko und Algerien. Dort schafften in den späten 1950er-Jahren Forschungsinstitute IBM-Computer an. Besonders faszinierend ist aber die Digitalgeschichte Kenias, wie der ehemalige ICT-Mitarbeiter Jitze Couperus in seinem Blog berichtet. Couperus arbeitete als Techniker für die britische International Computers and Tabulators (ICT), als dort 1960 die ersten Computer an die staatliche Bahngesellschaft geliefert wurden. Es handelte sich dabei um HEC 1200, ein Röhrenrechner mit Trommelspeicher, der für die Lohnabrechnung und andere Verwaltungsaufgaben eingesetzt wurde. Die praktischen Probleme, die sich beim Computereinsatz im deutlich raueren afrikanischen Klima ergaben, geben einen guten Einblick in die Herausforderungen früher Digitalisierungsprojekte. Neben durchgebrannten Röhren berichtet Couperus:
A related problem was that “starting” the machine in the morning required a huge surge in electrical power. Valves (like ordinary light bulbs with filaments) require an initial surge to heat up the filament – much more than is required to sustain it once it is already “lit”. This meant that the machine could not be switched on in the morning until we got the OK from the bakery up the road confirming that they had switched off their ovens. (Couperus 2016: The First Computers in East Africa)
Von ganz ähnlichen Probleme berichteten Zeitzeugen in sozialistischen wie kapitalistischen Staaten in der Anfangszeit der Digitalisierung, beispielsweise im Rechenzentrum der Staatsbank der DDR. Zeitzeugenberichte wie der Couperus helfen dabei, einen neuen, globaleren Blick auf die Digitalgeschichte zu werfen. In Tagungen und Projekten arbeiten zahlreiche HistorikerInnen bereits daran, diese Lücke zu füllen. So haben beispielsweise Paul Edwards und Gabriele Hecht bereits 2010 über die Digitalisierung in Südafrika geschrieben. Zur Frage der Digitalisierung, Apartheid und Hacking in Südafrika hat ebenfalls die kanadische Medienwissenschaftlerin Sophie Toupin einen lesenswerten Beitrag geschrieben.
Text: Martin Schmitt
Foto: Zeitzeuge Jitze Couperus um 1965 an der ICT 1500. (Foto Jitze Couperus CC BY 2.0) via HNF.
Literaturangaben:
- Sophie Toupin: „Hacking Apartheid. Revolutionary Communication and the South African National Liberation Movement“, in: Bory, Paolo, Gianluigi Negro und Gabriele Balbi (Hrsg.): Computer Networks Histories: Hidden Streams from the Internet Past, Zürich: Chronos 2019 (Geschichte und Informatik, Band 21 (2019)), S. 49–63.
- Paul Edwards, Gabriele Hecht: „History and the Technopolitics of Identity: The Case of Apartheid South Africa“, in: Journal of Southern African Studies 36/3 (2010), S. 619–639.
- Couperus, Jitze: „The First Computers in East Africa – and What Became of Them“ 2015, https://owaahh.com/the-first-computers-in-east-africa-and-what-became-of-them.
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HNF: „Ein Computer in Kenia“ 2020, https://blog.hnf.de/ein-computer-in-kenia/.