Welchen Einfluss hatten internationale Entwicklergemeinschaften auf die Architektur und Proliferation von Informationstechnologie? Zu dieser Frage begann am Mittwoch, 26.05.2016, in New York eine Konferenz der International Federation for Information Processing (IFIP). Die IFIP Arbeitsgruppe 9.7 hat sich seit vielen Jahren der Digitalgeschichte verschrieben und vereint im „Big Apple“ zahlreiche Größen des Fachs.
Den Auftakt zu der fünftägigen Tagung machte die Medienhistorikerin
Nicole Starosielski, Assistant Professor an der New York University, mit ihrer Keynote zu den Unterseekabeln des Internet. In Kollaboration mit einem Grafiker entwarf sie eine interaktive Karte, mit deren Hilfe sich die Infrastruktur des Internet nachvollziehen lässt. Dabei stellt sie bewusst die linearen und kolonialen Narrative in den Hintergrund. Sie will
die Geschichte des Internet und die Verbreitung seiner Kabel nicht ein weiteres Mal aus der Perspektive der USA oder Großbritanniens erzählen. Es gäbe schon genügend Arbeiten darüber, wie deren große Telekommunikations-Unternehmen die Welt unter sich aufteilten. Vielmehr interessiert Starosielski sich dafür, was an den lokalen Punkten der Seekabel passierte. Woher kamen die Menschen, welche die Kabel vor Ort installierten, warteten und betrieben? Wie trafen internationale Kommunikationsinteressen und lokale Interessen aufeinander? Immerhin läuft über diese Unterseekabel heute ein Großteil unserer Kommunikation, sozial, militärisch, ökonomisch wie auch politisch. Genügend Ersatzkapazität via Satellit gibt es nicht. In der
Visualisierung surfacing kann dies jeder selbst nachverfolgen.
Die Abkehr von linearen Narrativen: Surfacing als thematische Visualisierung der Unterseekabel des Internet
In der Karte drückt sich die Abkehr von linearen Narrativen dergestalt aus, dass die höchste Ebene der Karte keine geografische Übersicht bietet. Vielmehr zeigt sie eine in sich gefaltete thematische Übersicht der einzelnen Aspekte der Geschichte und der Verbreitung der Unterseekabel des Internet. Geordnet in Clustern wie „Kalter Krieg“, kulturellen Techniken der Seekabel vor Ort oder der Frage nach ökonomischen Marktkriterien bietet dies eine explorative und überraschend neue Art der Wissenspräsentation. Statt der oft daten-losen Karten der Netzwerke macht Starosielskis „surfacing“ den Blick frei für die dahinterliegenden Geschichten. Für mich stellte sich am Ende nur die analytische Frage: Inwiefern hängen denn jetzt die lokalen Interessen, der kulturelle Hintergrund der Kabelingenieure und die Infrastruktur des Internet zusammen, wie drücken sie sich ineinander aus? Und blieben die Kabelingenieure nicht eine internationale Elite? Starosielski bejahte dies einerseits, denn gerade die Kabelingenieure wurden von ihren Firmen gezielt abgeschirmt, um nicht dem lokalen „Rauschen“ ausgesetzt zu sein. Das „Rauschen“ bezeichnet in der Fachsprache die Hintergrundstörung, durch die hinweg ein Signal als „Ordnung“ übertragen werden muss. Im Falle der Ingenieure hieß dies aber eher, sie von den lokalen Bars abzuhalten und nüchtern zur Arbeit zu erscheinen. Andererseits bildeten sie trotz der häufigen Ortswechsel über die einzelnen Seekabelpunkte hinweg eine lokale Identität aus, die auch von den Firmen als Erdung gewünscht war. Ansonsten konnten Geschichten wie in Kalifornien passieren, was die Infrastruktur des Netzwerkes nachhaltig prägte: Die lokalen Fischer und Umweltaktivisten wehrten sich dagegen, dass die Kabel in ihrem Gebiet anlandeten. Die Proteste führten dazu, dass die Kabel schließlich nach Portland verlegt wurden.
Telestar, der erste zivile Kommunikationssatellit, ausgestellt in den Bell Laboratories
Um alternativen Formen der Kommunikation ging es im zweiten Teil des Konferenztages. Ein Besuch bei den berühmten Bell Labs stand auf dem Programm, heute in Besitz von NOKIA. Nur etwa eine Stunde außerhalb von New York City auf den Murray Hills gelegen, sind die Bell Labs einer der Ursprungsorte des Informationszeitalters. Das wird durchaus betont. Die Bell Laboratories schreiben sich auf die Fahne, „to invented nearly everything“. Dementsprechend ging es in der Führung um sehr viele „firsts“: Das erste Telefon, die erste mobile Funkübertragung von Sprache, der erste Transistor, Shannons Informationstheorie, der erste zivile Kommunikationssatellit, die Entwicklung von UNIX oder der Programmiersprache C++ – viele Grundsteine für das Informationszeitalter wurden hier gelegt. So wurden uns nicht nur die Artefakte gezeigt, sondern auch eine Führung durch das zumeist noch im Originalzustand erhaltene Gebäude gegeben. Nicht nur die Artefakte bekamen hier eine Aura zugeschrieben, auch der Ort selbst als mythisch beschworen. NOKIA als neuer Inhaber der Bell Labs ist dabei bereits bestens in das Narrativ integriert. Die Führung begann mit einem „connecting people“. Jenseits heroischer Erzählung ist der Besuch bei den Bell Labs aber absolut lohnenswert und die Ausstellung zeichnet sich durch moderne Museumspädagogik aus, welche den Besucher angesichts der Vielzahl an Erfindungen nicht erschlägt, sondern durch das Museum führt.
Text: Martin Schmitt
Fotos: Martin Schmitt, Titelbild: Der erste Transistor.
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