Am 24. und 25. März kamen internationale Forscher in Zürich zusammen, um die subkulturelle Computernutzung vor dem Internetzeitalter zu historisieren. Die Forschung zur Computergeschichte hatte lange Zeit einen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Maschinen gelegt. Die Arbeiten konzentrierten sich zumeist auf die USA, sowie Mittel- und Westeuropa. Bei diesem Workshop zeigte sich, dass diese Zentren aufgebrochen werden und die Forschung zunehmend Nord-, Ost- und Südeuropa behandelt. Mittlerweile finden sich auch zahlreiche Arbeiten, die sich mit der Anwendung der Computer in Firmen und Institutionen befassen. Der Fokus rückt damit näher an eine Alltagsgeschichte heran, in der die kulturellen und sozialen Einflüsse der neuen Technologie herausgearbeitet werden. Die Computersubkulturen wurden dabei lange marginalisiert, wie Spieler oder Cracker, während bei Hackern immer noch Mythen dominieren.
Vor diesen Mythen mahnte Jürgen Danyel vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in der Keynote. Man dürfe der eigenen Geschichtsschreibung dieser Szenen und Bewegungen nicht aufsitzen und müsse stets den historischen Kontext einzubeziehen. Lange Zeit waren es Angehörige dieser Gruppen selbst, die die Geschichte von Crackern, Hackern und der Demoszene erfassten. Und auch wenn unter den jungen Forschern dieses Feldes selbst Akteure und Zeitzeugen der 70er, 80er und 90er Jahre vertreten sind, so hat sich die Forschung zu den Computerszenen doch zu einem wissenschaftlichen Feld entwickelt.
Mathias Röhr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte aus Hamburg zum Beispiel behandelte unter anderem die Frage, warum die Mailbox-Nutzung in der Bundesrepublik und in den USA unterschiedlich verlief. Das Monopol der Deutschen Bundespost war dabei nicht alleine entscheidend, denn auch die US-amerikanischen Firma AT&T hatte eine Art Monopol inne. Auch die Stellung der Post innerhalb der Ministerien hatte einen wichtigen Einfluss, denn sie wurde nicht aus Steuergeldern finanziert. Die Post musste sich selbst finanzieren, also durch Einnahmen aus eigenen Produkten und Angeboten, und hiermit dem Auftrag nachkommen, die Telefonversorgung der Bundesrepublik auszubauen. Dies führte zu hohen Preisen bei den Modems, die man benötigte, um mit dem Computer online zu gehen, während man in den USA das Modem frei wählen konnte und somit günstigere Modelle nutzen konnte. Dies führte zu zahlreichen Spannungen mit der Mailbox-Szene, aber auch Kritik aus der Wirtschaft, die diese Beschränkungen stets anprangerten.
In zahlreichen Vorträgen konnte man nachvollziehen, wie vor allem die subkulturelle Nutzung von Computern deren Einzug in den Alltag begünstigte. Oder gar ermöglichte. Theodore Lekkas untersuchte dies am Beispiel Griechenlands, wo in den 1980ern durch Computer-Enthusiasten ein eigenes Computermodell entwickelt wurde. So wurde national ein eigener Markt erschlossen, der von Industrie-Riesen wie IBM nicht bedient wurde. Ulf Sandqvist stellte dar, wie schwedische Demoszener in die Wirtschaft eintraten und sich in die wachsende Branche der Spiele-Industrie einbrachten und dann wiederum scheiterten. Nicht nur in dem hier untersuchten Fall wurde die Frage nach den „fehlenden Frauen“ in den Computerszenen und –industrien verhandelt. Richtige Antworten lieferte der Workshop auf die Frage jedoch kaum. Nur die Abwesenheit oder Unterrepräsentation von Mädchen und Frauen wurde erwähnt und mit der frauenunfreundlichen Atmosphäre bei diesen Subkulturen erklärt. Das hohe Maß an Selbstdarstellung, sowie der hiermit einhergehende Konkurrenzkampf machten die Computernutzung in diesen Szenen für das weibliche Geschlecht unattraktiv. Wie Frauen jedoch den Computer nutzten, ob man Unterschiede zu den männlichen Nutzern ausmachen kann, welche Rolle die Ausbildungsmöglichkeiten, aber auch die Vermarktung der Computertechnologie spielten, wurde jedoch nur angedeutet. Ein Bereich, dem die Forschung deutlich mehr Raum geben sollte.
Angeregt wurde auch verstärkt vergleichende Perspektiven einzubeziehen. Und dies nicht nur auf einer zeitlichen Ebene, indem beispielsweise von der Zeitgeschichte weggehend auch Entwicklungen des 19. Jahrhundert berücksichtigt werden, sondern auch auf einer räumlichen. Gleb Alberts Präsentation etwa bezog eine globale Komponente bei seiner Untersuchung zu der Ökonomie der Cracker mit ein und warf auch Blicke auf die Türkei oder Brasilien, die erst nach den Cracker-Zentren in Nord- und Mitteleuropa in die Software Piraterie einstiegen.
Zweifelsohne befindet sich die Forschung zur Computergeschichte in Bewegung: von einer Geschichte des Objekts hin zu einer Alltagsgeschichte der Computernutzung. Die Forschungsarbeiten werden zahlreicher und die Archivierung von Materialien schreitet voran – dies haben unter anderem Markku Reunnanen und Canan Hastik in ihren Vorträgen gezeigt. Die wertvollen Erkenntnisse, sowie die spannenden Fallstudien sollen alsbald publiziert werden. Gemeinsam mit den Vorhaben einen Anschluss-Workshop zu gestalten und online über die Forschung zu informieren, soll dieser Workshop als Auftakt einer internationalen Forschung zu den historischen Subkulturen der Computernutzung dienen.
Hier geht es zum Interview mit dem Mitveranstalter Dr. Gleb Albert von der Universität Zürich und hier zu einem Workshopbericht auf Englisch von Ksenia Tatarchenko.